Manchmal möchte man doch als kleine Fliege dabei sein, wenn eine internationale Jury tagt oder eine Champagnerparty an der Biennale von Venedig steigt, um die Mechanismen des Beziehungsgeflechts der zeitgenössischen Kunstszene etwas zu durchschauen. Wie hängen Kunst, Erfolg, Geld und Status zusammen? Wer sind die wichtigen Akteure und von welchen Beweggründen sind sie getrieben? Welchen Gesetzen, Kriterien oder Labels folgen der internationale Kunstbetrieb, der internationale Kunstmarkt?
Sarah Thornton, Kunsthistorikerin und Soziologin beschreibt in ihrem Buch ‚Sieben Tage in der Kunstwelt‘ (S.Fischer Verlag, 2009) sieben Brennpunkte der aktuellen Kunstszene vor der grossen Krise, indem sie jeweils ihre Beobachtungen eines Tages an einem Hotspot, zum Beispiel einer wichtigen Amerikanischen Kunsthochschule, der Redaktion eines angesagten Kunstmagazins oder an der Art Basel, bei Murakami im Atelier oder an einer internationalen Auktion einbringt. Als Vorarbeit interviewte sie 250 wichtige Akteure des Karussells und kennt dadurch viele Leute, die ihr Tür und Tor öffnen und ihre Meinungen freimütig äussern. Sie bezeichnet ihre Arbeit als ethnographische Forschung, nach deren Spielregeln alle erwähnten Personen ihre Äusserungen im Vorfeld der Veröffentlichung lesen und kommentieren konnten.
Gebannt verschlang ich diese lebendige Beschreibung eines dichten Geflechts von Beziehungen, persönlichen Statements, Ansichten und Beobachtungen der sogenannten Kunstelite, von Sammlern, Künstlern, Professoren, Galeristen oder Kuratoren, wer in welchem Hotel absteigt, welche Kleider trägt, wie sein Geld verdient, hin- und hergerissen zwischen Faszination, Aha-Erlebnissen und Widerwillen, etwas ratlos, was ich für mich persönlich daraus ableiten könnte.
Stark beeindruckt haben mich die Beschreibungen einer crit-Sitzung an einer Amerikanischen Elitekunsthochschule . Ich weiss nicht, ob ich diese Art von Gruppensitzung psychisch unbeschadet überstehen würde, obwohl dort sogar Hunde (zum Selbstschutz?) mitgenommen werden dürfen. Klar, dass sich die wichtigen Leute an den angesagten Partys treffen, in den richtigen Hotelbars tummeln oder von ihren Bankern oder Galeristen zu Vorbesichtigungen eingeladen sind. Sicher ist auch, dass rote oder blaue Gemälde, die in Manhattan noch in einen Aufzug passen, an einer internationalen Kunstauktion höhere Preise erzielen als braune, unhandliche oder schwierig zu montierende Kunstwerke. In diesen Sphären sind Kunst und Kommerz oft so eng gepaart, dass es zwingend ist, die Kunstwerke industriell oder halbindustriell fertigen zulassen, ein Heer von Angestellten schon fast ferngesteuert arbeiten zu lassen, global zu agieren oder die Knappheit von selber gemalten Bildern auszunützen, und diese zu horrenden Preisen an handverlesene Kunden zu verkaufen, die sich zuerst auf einer Warteliste hochdienen müssen, damit alle Akteure im System maximal profitieren können. Das System ist kompliziert, schwer durchschaubar und wird von gewieften Leuten wacker ausgenützt und auch gesteuert, wenn zum Beispiel Galeristen an Auktionen Werke zurückkaufen, damit die Preise eines Künstlers nicht in den Keller sinken.
www.sarah-thornton.com
Interview mit Sarah Thornton im art-Magazin
Elisabeth Eberle
Mittwoch, 8. Juli 2009
Manchmal möchte man doch als kleine Fliege dabei sein.
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3 Kommentare:
Schade, dass ich eure beiden Rezensionen erst jetzt entdeckt habe, denn Kommentare zu alten Texten sind nicht so schrecklich sinnvoll.
Jedenfalls ist euren Beiträgen nichts hinzuzufügen - ich stimme Allem zu. Habe mich selbst monatelang stirnrunzelnd an dem Buch vorbeigedrückt, weil ich es aufgrund von Cover und Klappentext für eine Anekdotensammlung hielt. Als ich's dann doch gelesen habe, war ich buchstäblich traurig, als ich durch war. Liest sich halt fix, hätte aber noch länger so weitergehen können.
Danke :-).
Vielen Dank, freut mich auch jetzt noch!
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