Mittwoch, 14. Juli 2010

Biennale die Dritte- Was die Vergangenheit bereit hält.

Mein Großvater mütterlicherseits war Architekt und musste hin und wieder beruflich nach Berlin fahren. Wenn er zurück nach Königsberg kam, brachte er seinen beiden Töchtern das eine oder andere Geschenk mit. Ein legendäres Geschenk war der lebensgroße Stoffhund auf vier Rädern, auf dem meine Mutter reitend durch die Wohnung gezogen werden konnte. Dieser Stoffhund stammte aus dem Kaufhaus Wertheim.

Was das mit der Kunstkritik zu tun hat? Nichts und alles! Was ist Kunstkritik ohne Geschichtenerzählen? Nichts! Also lasst uns Geschichten erzählen wie die vom Reittier-Stoffhund meiner Mutter!

Zurück zu Ernsthafterem (weshalb ich hier überhaupt zugelassen bin, der Kunstkritik), zur Biennale Berlin.

Der größte Teil der diesjährigen Biennale wird in einem alten, mit Verzierungen übersäten Kaufhaus gezeigt.Sie ahnen, wenn Sie halbwegs von Verstand sind und ein halbes Dutzend Kritiken gelesen haben, um welches Kaufhaus es sich handelt: um das Kaufhaus Wertheim, ja gut, das Stammhaus. Zur Geschichte befragen Sie bitte das Internet (http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wertheim), denn das Exposé der Biennale gibt dazu nichts her, obwohl alle Spatzen es von den Dächern pfeifen, zumindest die älteren, gut, die ganz alten.

Wertheim war ein jüdisch-deutscher Kaufmann, der das Wertheim als eines der großen Kaufhäuser in Berlin etablierte. Nach französischem Muster versteht sich, Waren wie eine Flutwelle über fünf, sechs Etagen in endloser Fülle ausgebreitet.Mein Opa war jedesmal hin und weg, weil es in Königsberg nur Kaufkäuser mit drei Etagen gab. Gut, das war das zweite Wertheim in der Leipziger Straße. Das erste, in dem die Biennale sich präsentiert, war da schon viel zu klein geworden. Das Wertheim, das Wertheim. Natürlich rissen es sich die Nazis unter ihren schmutzigen Fingernägel und nach dem Krieg, nun ja, ging es wohl im Hertiekonzern auf, der das Gebäude im mittlerweile verruchten Kreuzberg Ost aufgab? Oder war der alte Besitzer in der Lage es selbst zu verkaufen? Warum, in drei Teufelsnamen, schreibt der Flyer der Biennale nichts darüber? Obwohl man Videos über die verhungernden Kinder des Kongo im ehemaligen Wertheim zeigt (nicht schlecht, weil der Autorenfilmer das Genre der Reportage mit dem des Musicals koppelt, mitten im Sumpf anfängt zu singen)? Warum ist die Biennale dieses Jahr so politisch wie nie, ohne diese Hintergrundgeschichte zu erwähnen? Warum ging das das letzte Mal in der Auguststraße mit der jüdischen Realschule so gut?Antworten bitte an info@jsnebe.de!

Danke!

6. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
"was draußen wartet, what is waiting out there"
11.6.2010-8.8.2010
Altes Kaufhaus Wertheim
Oranienplatz 17
10999 Berlin

Joas Sebastian Nebe

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