Überrascht bin ich stets, wenn es jemandem gelingt, einen absolut neuen Blickwinkel zu finden. Dazu gehört einer meiner Lieblingskünstler: Michael Triegel. In seinem Bild "Tod der Ophelia" erreicht er mit der Absenz der Wasserleiche eine neue und überraschende Wendung in der Rezeption des Themas:
Michael Triegel, Tod der Ophelia, Eitempera/Öl auf Hartfaser, 80 x 60 cm, 2009 |
Schon 1912 ist Gottfried Benn in seinem Gedicht "Schöne Jugend" eine geradezu wahnwitzige Verkehrung des Ophelia-Motives gelungen:
Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!
Benn, der Arzt, schaffte es in analytischer Kaltblütigkeit den todessehnsüchtigen, drogengeschwängerten Blick des 19. Jahrhunderts in ein paar Sätzen hinwegzuwischen.
Mit solchen Künstlern bereitet ikonografische Geschichte Freude. Die Idee zu dem Post ist einem wunderbaren Beitrag des Nachtstudios auf Bayern 2 zu verdanken: "Auf stiller, dunkler Flut" von Harry Lachner.
André Debus
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