Donnerstag, 11. April 2013

Moral und Bildraum

In vielen Bildern des Malers Juha Sääski schleicht sich die mediale Welt bedrohlich in Wohn- und Kinderzimmer. Eine Mutter öffnet die Tür um ihre Tochter zum Essen zu rufen. Doch hinter der Tür verbirgt sich eine andere Welt. Farbige Rechtecke, stürzende Raumlinien und aggressive Wesen kämpfen um die Vorherrschaft. Noch hängt an der Wand das Stickbild eines Engels, welcher auf einer Waldlichtung segnend seine Hände über einen Bub und ein Mädchen hält. Wer kontrolliert hier wen? Eltern ihre Kinder? Oder werden unsere Kinder von den Medien kontrolliert? Kontrollieren nicht schon längst die Medien uns alle?

Daisy! Food is ready! | oil on canvas | 167 x 197 cm | 2011


Uniformierte Männer sitzen vor einer Wand mit Überwachungsmonitoren. Die Hände ruhen auf den Kontrollgeräten obwohl die Situation bereits zu eskalieren droht. Polizisten marschieren gegen Demonstranten. Jesus hängt am Kreuz und blutet. Kleinkinder schreien. Homer Simpson isst einen Burger. Schon reißt die Übertragung ab. Rauch dringt aus den Bildschirmen in den Kontrollraum. Der Feuerlöscher hängt weit hinten. Unbemerkt von den Uniformierten hat sich eine mannsgroße Spinne angeschlichen. Wer kontrolliert hier wen? Die Obrigkeit die Öffentlichkeit? Beamte die Situation? Oder ist alles außer Kontrolle geraten?

Monitoring the realities. | oil on canvas | 160 x 210 cm | 2012


Es gibt neben Ölbildern und großformatigen Kohlezeichnungen zahlreiche Collagen von Juha Sääski, auf denen er sich den Ausgestoßenen der Gesellschaft widmet. Und denen, die nie wirklich in der Gesellschaft angekommen sind. Und doch ist er nicht einfach ein Moralprophet mit erhobenem Zeigefinger. Seine Kunst greift viel tiefer. In magrittescher Manier verwandelt er Bildräume in Bilderrätsel. Und wie bei Magritte sind diese Rätsel lösbar. Hinsehen und nachdenken lohnt! Da ist dieser Mann, der sein Gesicht über eine Strumpfmaske zieht, die er über sein Gesicht gezogen hat. Oder der Maler, der selbst nur aus wilden Pinselstrichen besteht und vor einer illusionistischen Leinwand in einem illusionistischen Raum steht. Auch gibt es da ein anatomisches Skelett, welches mit der linken Hand einen dicken Akt in der Manier eines Fernando Botero malt und mit der rechten Hand schmale Figuren im Stile der Bronzegüsse Alberto Giacomettis.

Self-portrait 2 (artist's dilemma) | oil on canvas | 150 x 180 cm | 2007


Wiederum sind Juha Sääskis Bilder nicht einfach Rebusse. Tatsächlich geht es um Grundsätzliches. Es geht um unsere Fähigkeit des Sehens und Wahrnehmens. Sehen wir erst einmal die Details seiner Bilder sind wir berührt, wir fangen an zu denken, wir nehmen sie wahr. Können uns auch die visuellen Reize der Wirklichkeit berühren und zum Denken und Handeln anregen? Sehen wir die Dinge hinter dem Sichtbaren?

Juha Sääski behandelt in zeitgemäßer Form die großen Themen der europäischen Kunstgeschichte. Er spricht über die moralische Dimension des Menschen ohne moralinsauer zu sein. Er spricht auch über Fiktion und Realität. Er bricht den Bildraum auf und stellt ihn uns in seiner illusionistischen Absurdität nackt vor Augen nachdem er uns erst hineingezogen hat. Dazu kommt die meisterliche technische Beherrschung der von ihm verwendeten Medien, die erfreulicherweise ganz uneitel daherkommt.

Juha Sääski ist in dieser glücklichen Einheit von Form und Inhalt unbestreitbar den großen lebenden europäischen Malern zuzurechnen. Seine Bilder sind nicht nur ein treffendes Abbild unserer gegenwärtigen Gesellschaft, sie sind in ihrer Thematik zeitlos. Seine Bildeinfälle sind eine Bereicherung unseres visuellen Wortschatzes. Sie sind Teil einer lebendigen europäischen Kultur. Juha Sääskis Bilder sind zu Form und Farbe gewordene Moral im Bildraum. Danke dafür.

André Debus

Juha Sääski wird am 26. April eine Einzelausstellung in der Galerie Toolbox in Berlin eröffnen. Dieser Text erscheint (+ Übersetzung in Englisch von Anne Brede) als Vorwort zu dem Katalog, der zur Ausstellung gedruckt wurde. Mehr Arbeiten von Juha Sääski findet man hier.

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