Mittwoch, 3. Dezember 2008

Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte

Dieses Buch ist das NoGo der Kunstkritik. Der Buhmann der jüngeren Kunstgeschichte. Wie kam es? Nach dem 2. Weltkrieg wurden in Deutschland zunächst einmal die geächteten Maler rehabilitiert. Speziell abstrakte Maler, die über den Krieg in Deutschland geblieben sind, besetzten schnell die wichtigsten Posten der Kunstszene. Einer von ihnen war Willi Baumeister. Ein anderer Hans Sedlmayr. Nun entstand ein Richtungstreit der in öffentlichen Diskussionen mündete und deren Hauptsprecher die beiden Genannten waren. Es ging um die Rechtfertigung der Abstraktion versus den Ruf einer neuen "Menschlichkeit" in der Kunst. Baumeister gewann diese Debatte.

Sedlmayr hält in seinem Buch "Verlust der Mitte" seine Vorstellungen vom Niedergang der Kunst in der Neuzeit fest. Grundlage ist die Idee, dass ein qualitativer Höhepunkt in der Kunst erreicht wird, wenn alle Gattungen (Bildhauerei, Architektur, Malerei etc.) einer gesellschaftlichen Gesamtaufgabe zuarbeiten. Er sieht diese Anforderungen im Kirchenbau der Romanik, Gotik oder der Renaissance erfüllt. Schließlich sinkt der Gottbegriff und die Kunst arbeitet auf den Palast, das Rathaus oder schließlich die Maschinenhalle hin. Die Kunstgattungen trennen sich voneinander und arbeiten nicht mehr gemeinsam einer großen gesellschaftlichen Aufgabe zu. Um als Einzelgattungen bestehen zu können wenden sie sich immer stärkeren Extremen zu. Dabei orientieren sich die Gattungen nicht mehr am menschlichen Maßstab und werden so zum Manierismus. Auf diese Weise greift er schließlich den Surrealismus, den Futurismus und indirekt auch die Abstraktion an. Die Suche nach Provokation und Extrem bezeichnet er als "Verlust der Mitte".

Sedlmayr war Mitglied der NSDAP. Inhaltlich lässt das 1948 erschienene Buch allerdings keine Nähe zum Nationalsozialismus erkennen. An einer Stelle bezeichnet er den Nationalismus als ein Extrem, dass ebenso wie der von ihm gehasste Surrealismus ein Symptom für eine gesellschaftliche Erkrankung ist. Allerdings distanziert er sich auch klar von afrikanischer Stammeskunst, sowie (mit barschen Worten) auch von der Kunst Geisteskranker. Picasso achtet er als großen Künstler, allerdings bedauert er es, dass dieser im Kubismus das Menschenbild so verzerrt und maschinenähnlich gemacht hat.

Ihr merkt schon. Dieses Buch enthält großen Diskussionsbedarf. So verteufeln, wie es die Kunstkritiker in den letzten 50 Jahren gemacht haben, darf man es aber nicht. Mittlerweile gibt es wieder Ansätze dieses Buch differenzierter und nicht mehr so geschichtsbelastet zu lesen. Wenn sich auch einige der Thesen Sedlmayrs nicht erfüllt haben, sind andere Ansätze durchaus lesens- und überdenkenswert. Um es mit Umberto Eco zu sagen: Dieses Buch "gehört zu den Grundlagentexten für einen wohlfundierten Diskurs über die moderne Zivilisation..., ein Hauptwerk des apokalyptischen Denkens." (Vom Cogito interruptus, 1967)

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