Donnerstag, 25. Februar 2010

Kritik der Kritik

Vorbei sind die Zeiten als der Kunstkritiker dem Künstler nahebrachte was sein Publikum über ihn denkt. Heute meint er dem ahnungslosen Bildbetrachter vermitteln zu müssen was der Künstler eigentlich sagen wollte. Prof. Dr. Christian Demand verweist in seinem Buch „Die Beschämung der Philister – Wie die Kunst sich der Kritik entledigte“ dieses Treiben in die Schranken. Mit einem geschichtlichen Abriss der Kunstkritik seit den 1820er Jahren bis hin zu den inhaltsfreien Lobpreisungen eines Robert Ryman entlarvt er einen sich zuspitzenden, pseudoreligiösen Fanatismus. Der Künstler als Prophet, der Kritiker als sein Prediger, der Kunstbetrachter als zu bekehrender Heide, als verlorenes Schäfchen das jederzeit den Niederungen des Kitsches anheimzufallen gefährdet ist. Buhmänner der historischen Kunsttheorie wie Hegel und Sedlmayr erscheinen unter den veränderten Vorzeichen in neuem Lichte. Demands fabulierlustiger Wörterreigen ist ein bitterböser Abgesang auf die Kunstkritik der Neuzeit.Herr Demand, Sie verunglimpfen in Ihrem Buch gegenwärtige Kunstkritik unter anderem als „enthusiastische Erlebnisaufsätze“, „informationstheoretische Persiflagen“ und „Simulation von Tiefgang“. Wie sollte Kunstkritik denn aussehen?

So wenig ich der Kunst vorschreiben möchte, wie sie konkret auszusehen habe, so wenig möchte ich das der Kritik zumuten. In beiden Fällen würde ich mir damit ja nur ins eigene Fleisch schneiden – schließlich möchte ich das Vergnügen, von neuen, unvorhergesehenen Einfällen und Lösungen überrascht zu werden und dadurch Qualitäten entdecken zu können, die mir andernfalls entgangen wären, keinesfalls missen. Eine Mindestvoraussetzung für beide Spielfelder würde ich allerdings durchaus formulieren: Daß man mich als Leser/Betrachter ernst nimmt, mir mit Respekt begegnet und auf Augenhöhe mit mir kommuniziert. Was die Kunstkritik hierzulande angeht, habe ich diesen Eindruck leider höchst selten. Statt zum abertausendsten Male lesen zu müssen, irgendeine Museumsinstallation würde meine Wahrnehmungsgewohnheiten ganz fürchterlich auf den Kopf stellen, fände ich eine Berichterstattung fruchtbarer, die nicht nur stereotype Klappentexte reproduziert, sondern z.B. auch einmal die institutionellen Hintergründe des Kunstbetriebs und das diffuse Ineinander von Interessen und Abhängigkeiten zwischen Markt, Museen und Medien ausleuchtet, über das man sich als Außenstehender selbst nur schwer ein Bild machen kann. Ich denke nicht, daß das zu viel verlangt ist – von Sportjournalisten erwarte ich ja auch mehr als nur ständige, kritiklose Elogen über Pokale und Weltrekorde. Im Gegenzug würde ich die Kunstkritiker dann von der Verpflichtung freistellen, sich über meine Wahrnehmungsgewohnheiten Gedanken machen zu müssen – über die weiß ich nämlich, mit Verlaub, auch ohne fremde Hilfe hinreichend Bescheid.

Immer wieder kommen Sie auf Hegels postuliertes Ende der Kunst zurück. Sind Sie ein Kulturpessimist?

Ich fürchte, der praktizierende Kunstenthusiast Hegel hat seinen bleibenden Ruf als Kulturpessimist vor allem der Tatsache zu verdanken, daß sich noch immer kaum einer seiner Kritiker die Mühe macht, seine Vorlesungen über die Ästhetik (gehalten in den 1820er Jahren) auch wirklich zu lesen. Ein einziger Lektürenachmittag aber würde genügen, um sich davon zu überzeugen, daß der berüchtigte “Satz vom Ende der Kunst” alles Mögliche beinhaltet, nur nicht die Prophezeiung, mit der Kunst ginge es nun zu Ende. Tatsächlich spricht Hegel an der betreffenden Stelle lediglich davon, daß die Kunst künftig nicht mehr wie bisher einer strengen Entwicklungslogik folgen werde. Nicht also DIE KUNST, sondern die „Art der Darstellung“, so Hegel, „ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes“ geworden. Die Kunst wird “dadurch ein freies Instrument”, das der Künstler “nach Maßgabe seiner subjektiven Geschicklichkeit in bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er auch sei, gleichmäßig handhaben kann.“ (Hegel, Ästhetik Bd. II, S. 235) Was hier zu Ende geht ist somit keineswegs die Kunst als solche, sondern nur eine bestimmte Vorstellung davon, wie Kunst gefälligst auszusehen habe. Mit dieser Feststellung hat Hegel offensichtlich mitten ins Schwarze getroffen. Er ist durch die Entwicklungen der Moderne deshalb auch nicht etwa widerlegt, sondern, im Gegenteil, voll und ganz bestätigt worden. Wenn aber schon Hegel kein Kulturpessimist war, dann bin ich es noch viel weniger – schließlich genieße ich ihm gegenüber die Gnade der späten Geburt und muß nicht mit dem schweren philosophischen Gepäck des Deutschen Idealismus durch die Ästhetik schreiten.

Gibt es eine Tendenz dass sich junge Künstler wie Jonathan Meese die Deutungshoheit der Kunstkritik zu Nutzen machen indem sie ihre Phrasen in bildnerischer Form reproduzieren?

Gegenfrage: Glauben Sie denn wirklich ernsthaft, die Kunstkritik genieße “Deutungshoheit”? Bei wem bitte? Wer nimmt denn ein Genre ernst, das sich ständig intellektuell selbst desavouiert? Nein, ich fürchte, solange die Kritik ihr Kerngeschäft weiterhin in der Fabrikation wattiger Fanprosa zur Missionierung ästhetisch Andersgläubiger sieht, wird sie in diesem Betrieb auch weiterhin nur als Begleitgeräusch wahrgenommen – und das völlig zu Recht.

Kann es nach Robert Ryman noch Kunst geben?

Selbstverständlich!

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Dieses Interview führte ich für das feine Stuttgarter Magazin Sonnendeck, wo es in der Printausgabe vom Februar erschien.

André Debus

2 Kommentare:

Armin hat gesagt…

Danke für den Hinweis auf das Buch & Glückwunsch zu dem gelungenen Interview!

André Debus hat gesagt…

Herr Demand verfügt über soviel sprachlichen Witz und böse Ironie, dass es fast unmöglich ist, ein schlechtes Interview mit ihm zu führen. Was übrigens auch das Buch sehr unterhaltsam macht. Abgesehen davon sind die inhaltlichen und formalen Unarten in der heutigen Kunstkritik (bzw. was man dafür hält) wirklich seiner Anklage wert.