Donnerstag, 16. Juni 2011

Wille zur Schönheit

1. Szene:

Gegen Ende eines Crashkurses zum Thema „Geschichte des Russischen Konstruktivismus“ verabschiedet sich die Volkshochschulgruppe. Nachdem ich sie neunzig Minuten lang mit Manifesten und dem damit einhergehenden Bildmaterial strapaziert habe, sehe ich mich von ratlosen Gesichtern in komischer Verzweiflung umgeben. Eins erfrecht sich, auszusprechen, was alle denken: „Das war heut aber kompliziert.“

„Oh ja“, beginne ich meine positive Verstärkung, „und das ist erst der Anfang. Ab jetzt wird es immer schlimmer. Und wenn wir erst bei der Konzeptkunst mit dem Charme eines Aktenschranks voller Leitz-Ordner angelangt sind, werden Sie mich anflehen, doch wenigstens ein klitzekleines Bildchen zu powerpointen. Aber wahrlich, ich sage Ihnen: Nix gibt’s. Kunst und Ästhetik hat ma grad SOWAS VON ÜBERHAUPT NIX miteinander zu tun!“

[Unterdrücktes Schluchzen vernehmbar.]

„Ruhe da hinten. Sind wir hier im Kunstgeschichtskurs oder in der Kunsttherapie?“

Teilnehmerin: „Aber Kunst kann doch auch schön sein. Machen wir mal wieder Nolde?“

Ich sage: „Den haben wir bereits gemacht bis wir bunte Flecken im Gesicht hatten, und Ihnen zuliebe kram ich ja nun wirklich bei jeder Gelegenheit Kandinsky und ähnliche Schöngeister hervor, um ein beseeltes Lächeln auf Ihre Gesichter zu zaubern. Aber bevor Sie weiter fragen: Nein, Frau Sowienoch, und Chagall machen wir auch nicht. Von so viel unkontrollierter Schönheit krieg ich Pickel. Aber jetzt wollen wir uns doch nicht die Ferienlaune verderben. Nach der Sommerpause sehen wir weiter.“

Ich denke: „Und dann kommt dann Art & Language. Und wenn Sie wüssten, wie unschön das ist, würden Sie jetzt weinend davonlaufen, hihihi.“

2. Szene:

Am darauf folgenden Tag lausche ich einem sog. Künstlergespräch. Will sagen: Der Maestro sitzt, umgeben von Œuvre, auf dem Podium gegenüber einer Gesprächspartnerin, die ihm (wie der Zufall es so will handelt es sich um die Kuratorin seiner jüngst eröffneten Einzelausstellung) äußerst wohlgesonnen ist und das Interview aus der Froschperspektive führt.

Ich meinerseits wohne diesem Unterwerfungsritual widerspruchslos bei, weil ich vor ca. 25 Jahren einen Katalog des Meisters voller optisch eher unauffälliger Studien hartnäckig bestaunte. Die dezente Langeweile der seriellen Anti-Spektakel veranlasste mich zu der Überzeugung, dass der unterkomplexen Anmutung ein überkomplexes Konzept zugrundeliegen müsse, das ich nur noch aufspüren brauchte. Da mir das nicht gelang, bin ich also heute hierher gekommen – voll von unfinished business und gesteigertem Erkenntnisinteresse.

Und dann waren da noch die Kalauer aus dem videoten Interview mit dem GröFaZ, das ich am Vortag in freudiger Erwartung der Audienz gesehen hatte, und das verbale Ohrwürmer enthielt wie “I have a good relation with whatever female energy there is in the world. And I'm interested in men as well – in all their complicated simplicity.”

Soviel zu meiner Motivation. Den Erschaffer solcher Oneliner MUSS man schließlich von Angesicht zu Angesicht schauen, oder?

Also lausche ich. Und da der Schöpfer Anfang der 70er nach chemisch induzierten Schlüsselerlebnissen die obligatorischen Aufenthalte in Indien und Japan absolviert hatte, geht es erwartungsgemäß um heilende bis göttliche Potentiale der Kunst und so. („The artist's role is to show that the world is perfect, and then to make visible that this perfection needs a bit of correction.“)

Im Großen und Halben bin ich ganz einverstanden und willens, einen wohlwollenden Bericht zu verfassen. Also begebe ich mich anschließend in die Ausstellung auf der Suche nach Anschauungsmaterial, das die unverbrüchliche Aktualität des Malers belegt.

Und ich bin ECHT willens. Ich WILL fotografieren. Denn ließe ich euch inmitten einer Buchstabenwüste ganz mit ohne „auch nur klitzekleines Bildchen“ (siehe oben) zurück, würdet ihr maximal bis zum Ende der Überschrift lesen – ich kenn euch doch. Also muss was Buntes her. Und in dieser überlad– äh, ich meine: überwältigenden - Ausstellung wird ja wohl irgendwas zu finden sein, das ich längerfristig auf meiner umkämpften Festplatte parken will.

Aber nein. Nachdem ich gutwillig bis nachsichtig zwei Mal sämtliche Riesenformate abgeschritten bin, geb ich auf. Soviel gewollte Schönheit ist anstrengend. Überwältigungsästhetik, wie man sie aus der Werbung oder Spielzeugindustrie kennt. Um flächendeckendes Erschauern auszulösen bedient sich der Meister großzügig beim Repertoire eines normalerweise eher unter Pubertierenden verbreiteten symbolischen Surrealismus: Mensch und Kreatur in Regenbogenfarben nebst Regenbögen und Tränen und Herzen und Uhren und Käfigen und einstürzenden Kartenhäusern und Liebenden und Leidenden und Geburt und Tod und Glück und Leid und – okayokay, ich hör schon auf. Ich fürchte, ihr könnt euch die barocke Pracht vorstellen.

Genug gewatscht. Soll das heißen, Kunst darf nicht schön sein?

Kann, aber muss nicht. Marina Abramovićs Erkenntnis Art Must Be Beautiful, Artist Must Be Beautiful, der sie 1975 in der gleichnamigen Performance Nachdruck verlieh, gilt nach Dafürhalten Vieler noch heute – wie die eingangs zitierte Reaktion der konstruktivistisch Traumatisierten zeigt. Menschen wollen schöne Dinge und schöne Menschen sehen und dagegen ist nichts einzuwenden. Anders als 1975 oder in vorhergehenden Jahrhunderten aber bedarf es heute keiner Kunstwerke mehr, um unser Dasein zu durch-schönen. Dank technischer Möglichkeiten ist Schönheit allgegenwärtig – sei es die Grafik des Media-Players oder die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie. Alles ist schöner geworden, der gemeine Fernseher quillt über von geradezu überirdisch attraktiven Menschen. Verglichen mit dem Erstaufführungsjahr von Abramovićs Bürstenorgie wurde der mediale Raum nebst seiner Insassen visuell in nie zuvor gekannten Maße optimiert (der mediale – nicht der reale). Das teilweise Belustigende alter Filme und Fotos liegt daher in dem rührenden Bemühen um Schönheit mit unzulänglichen Mitteln. Diese Unschuld haben heute bereits Kinder verloren, die ihre AltersgenossInnen aus Casting-Shows mit geradezu erschreckender Professionalität nachahmen. Sie wollen nicht nur optisch perfekt sein – sie sind es.

Marina Abramović "Art Must Be Beautiful, Artist Must Be Beautiful", 1975, courtesy www.medienkunstnetz.de

Insofern ist die Übernahme einer Ästhetik, die in anderen Zeiten und Räumen entstand – im vorliegenden Fall in Indien – ein Anachronismus. Kulturen erteilen Kunst unterschiedliche Aufträge, die daher nur innerhalb der jeweils herrschenden Bedingungen legitim sind. Die BewohnerInnen hochgelegener Täler des Himalayas z.B verbrachten ihr Leben innerhalb der Grau und Braun-Töne ihrer vegetationsarmen Region. Ausgehungert nach Sinnesreizen überzogen sie alles, dessen sie habhaft werden konnten, mit dem, was sie vermissten: üppige Blütenmuster in reinen Farben. Während diese Dekors in andere Klimazonen exportiert grell und überladen wirken, sind sie an ihrem mineralienreichen Ursprungsort ein Augenschmaus.

Hienieden aber hat sich der Schönheitsauftrag der Kunst aus den oben erwähnten Gründen erledigt, weswegen sich Letztere auf andere Kernkompetenzen wie beispielsweise Bewusstseinserweiterung besinnen kann. Und diese Sensibilisierung schließt die Wahrnehmung von Schönheit keineswegs aus. Kunst kann Schönheit sichtbar machen, ohne sie dabei aber zu forcieren, wie der besagte Maler mit dem Indien-Import-Export es tut.

Zu den zentralen Eigenschaften bildender Kunst gehört ihre Möglichkeit, Ignoriertes – darunter auch subtile Formen von Schönheit – sichtbar zu machen. Als besonders geeignet hat sich dabei die Verwendung natürlicher Materialien erwiesen. Dabei sind die Grenzen zwischen bloßen Verweisen auf unwillkürliche Schönheit einerseits und deren Herstellung fließend.

Am eher dokumentarischen Ende der Skala befinden sich KünstlerInnen, die natürliche Prozesse lediglich optisch verstärken: Liang Shaoji fotografiert Spiegel auf Berggipfeln, welche die über sie hinwegziehenden Wolken reflektieren, Rivane Neuenschwander tränkt Konfetti in Zuckerwasser, bevor sie ein Ameisenvolk darauf loslässt, mit dem Ergebnis, dass die wegen ihres süßen Geschmacks nun äußerst beliebten bunten Blättchen in Windeseile durch den Raum transportiert werden und abwechslungsreiche Muster ergeben. Markus Wirthmann konstruiert Vorrichtungen, innerhalb derer chemische Reaktionen ablaufen und als Nebenprodukt ästhetisch eindrucksvolle Strukturen erzeugen.

Rivane Neuenschwander "Ash Wednesday/Epilogue" 06, courtesy www.frieze.com

Markus Wirthmann "Äolische Prozesse", 10, Foto CL

Markus Wirthmann, Kristalle, undatiert, Foto CL

Am theatralischen Ende hingegen baut Andy Goldsworthy als bekanntester Vertreter der romantischen Fraktion seine traumhaften Gebilde, während Mathias Kessler gewichtige Beleuchtungstechnologie nach Venezuela und Grönland transportiert, um Eis- oder sonstige Berge in Szene zu setzen. Auch David Nash lenkt die Aufmerksamkeit auf die Materialästhetik von Holz und Stein – allerdings in technisch anspruchsvoller Form.

Andy Goldsworthy "Slate Arch", 1982, courtesy www.goldsworthy.cc.gla.ac.uk

Andy Goldsworthy, "Balanced Ice Column", 1985, courtesy www.goldsworthy.cc.gla.ac.uk

Mathias Kessler "Mathias Kessler "Ilulissat", 07, courtesy www.mathiaskessler.com

David Nash am Werk, keine weiteren Angaben.

Diese unterschiedlichen Grade der Bearbeitung machen deutlich, dass Schönheit innerhalb von Kunst niemals natürlich, d.h. ohne menschliche Absicht, sondern stets gewollt und entsprechend inszeniert auftritt. Wer spontane Ästhetik sucht, sollte sie im Gewachsenen ohne Umweg über das Gemachte suchen – wobei die Möglichkeit, überhaupt irgendetwas „Natürliches“ zu erkennen, seit Heisenbergs Erkenntnis vom unausweichlichen Einfluss des Beobachters auf das Beobachtete bezweifelt werden darf.

Doch unabhängig davon, ob sich die ästhetische Wirkung dieser und ähnlicher Objekte organischer Weisheit oder menschlicher Nachhilfe verdankt: Ja, Frau Sowienoch, Kunst kann auch schön sein. Aber besser ganz mit ohne Chagall.

Charlotte Lindenberg

7 Kommentare:

Armin hat gesagt…

Danke! Ein anstoßender Text.

straszewski. de hat gesagt…

superguter text, trotzdem schön macht nicht schön, gefallen macht schön...soviel zum betrachter/beobachter

Anonym hat gesagt…

Die Autorin halt es wohl für einen guten Schachzug lange und breit über einen Maler wie dessen Bildwelt zu schreiben und dabei weder seinen Namen zu nennen noch eines seiner Werke zu präsentieren. Sie glaubt, dabei würde ihre Kritik an Allgemeinheit gewinnen. Ich sehe das nicht so und halte diese Vorgehensweise eher für etwas feige!
Dann schwingt sie sich zur absurden These auf: Seit 1975 sei unsre (mediale? –im Text nicht ganz geklärt) Welt so mit Schönheit überladen, dass sie in der Kunst nicht mehr den Platz hätte wie zuvor. Da wird Mode und Lifestyle wohl mit Schönheit verwechselt. Schönheit die ja wie wir wissen nicht so einfach zu verorten und manifestieren ist, die letztlich eine ERSCHEINUNG ist. Dieser ERSCHEINUNG nachzugehen und zu behaupten ist natürlich eine der vielen Themen der Kunst, nicht ihr Dreh und Angelpunkt; es wird wohl so sein, dass es in früheren Zeiten einmal zentraler war (GROSSES ?)
Also wer die ERSCHEINUNG der Schönheit in unsrer (medialen?) Welt, so wie ich, anderes als die Autorin, nicht so ohne weiteres findet, der erfreut sich eben weiter daran wenn Sie ihm, wo auch immer, erscheint.
In diesem Text erschien sie mir nicht, denn reine Unzufriedenheit ist keine Erscheinung die ich als Schön empfinde, vielleicht geht es unserer Autorin da ja anders!?

Rubin

Anonym hat gesagt…

PS ich rate mal: War der Maler vielleicht Malcolm Morley? - Dessen "Entwicklung" würde ich es zutrauen die beschriebene Wirkung zu erzielen.

Rubin

André Debus hat gesagt…

Hallo Rubin,

vielleicht habe auch ich beim Einstellen einen Fehler gemacht. Wir haben nur lose Absprachen, was die beigefügten Fotos angeht. Es war noch ein weiteres Foto von einem nicht namentlich benannten Künstler dabei, welches aber gut auf die Beschreibung der zweiten Szene passt. Das Foto war mit dem Namen "Clemente" versehen. Da ich es nicht sicher zuordnen konnte und Charlotte gerade in Basel ist, habe ich es einfach aussen vor gelassen.

Ich weiss gar nicht, was Du Dich so über den Text echauffierst. Der ist doch so ambivalent/ironisch gehalten, dass sich jeder rauslesen kann was er will. Ich erfreue mich vor allem an den Demandschen Formulierungen, die das Lesevergnügen im Vergleich zu anderen Texten, die ich zur Schönheit kenne, erheblich steigern.

Anonym hat gesagt…

Echauffierte mich gar nicht ! (das klingt anders;-)

Aber auf "Ironie" und "jeder liest raus was er so will" zu argumentieren- diese Offenheit kann ich im Text nicht so finden. Höre da eher die Art von Oberflächlichkeit heraus, die entstehen kann wenn man sich fachlich meilenweit überlegen fühlt. Ne, Ne, - hab's eben hochmal durchgelesen, in den Zeilen bei denen es um den "Schönheitsauftrag der Kunst" geht ist nichts von Ironie zu spüren.
Zudem habe ich nicht das kritisiert was mal irgendwie vielleicht gedacht war, sondern das was da steht; das nun der beschriebene Maler Francesco Clemente sein soll passt zwar auch zum Text, steht in dem aber ganz offensichtlich nicht drin.

Sind wir denn beim heiteren Malerraten?

Rubin

Charlotte Lindenberg hat gesagt…

Rubin, danke für deine ausführlichen und ernstzunehmenden Kommentare! Was wär das schön, wenn sich mehr Menschen die Zeit für so gründliche Entgegnungen nehmen würden. Genau dazu sind Blogs da. Alles andere ist Selbstgespräch.

Du schreibst, ich würde keinen Namen nennen, um „an Allgemeinheit zu gewinnen.“ Der Grund ist, dass Schlechtmachen konkreter Werke oder Personen eine Art von Kunstzerstörung ist, weil ich dadurch zwangsläufig anderer Leute Wahrnehmung beeinflusse – auch derer, die diese Art von Malerei schätzen. Solange ich mich allgemein ausdrücke, können alle selbst entscheiden, ob sie mir folgen. Nenne ich aber Namen, manipuliere ich ihre Wahrnehmung – ob sie wollen oder nicht.

„Dann schwingt sie sich zur absurden These auf: Seit 1975 sei unsre (mediale? – im Text nicht ganz geklärt)“.
Mir fällt keine deutlichere Formulierung ein, als diejenige, die ich bereits benutzt habe, als ich schrieb „der mediale Raum nebst seiner Insassen wurde visuell in nie zuvor gekannten Maße optimiert (der mediale – nicht der reale)“.
Ich spreche weder vom Guten noch vom Wahren, sondern vom Schönen, d.h. von angenehmen, harmonischen, visuell überwältigenden Erscheinungen. Und die dominieren im massenmedialen Raum eindeutig – im Gegensatz zum Guten und Wahren.

„Reine Unzufriedenheit ist keine Erscheinung die ich als Schön empfinde.“
Reine Unzufriedenheit? Der Text enthält EIN Negativbeispiel – das André uns dankenswerteweise erspart hat, was du aber auf meiner Homepage (http://bit.ly/jgFYSr) bestaunen kannst – und ACHT Positivbeispiele.

Insgesamt verstehe ich, worum's dir geht und kann dem durchaus was abgewinnen.