Samstag, 19. Mai 2012

Markus Wirthmann - Vom Prozess und seiner Ästhetik

Geben Sie doch mal das Wort Äolik in eine Suchmaschine ein. In geheimnisvoller Art und Weise verbinden sich die ersten Treffer mit einem Namen - mit dem von Markus Wirthmann. Und dabei hat er weder dieses Wort noch gar den dahinter stehenden Prozess entwickelt. Ein äolischer Prozess meint nämlich einen durchaus bekannten Vorgang: Sand wird vom Wind in bizarre Landschaftsformen geweht - in Dünen wie wir sie von Hintergrundbildern diverser Computerbildschirme kennen. Und Markus Wirthmann macht Kunst daraus. Im Kunstverein der Grafschaft Bentheim verfrachtet er im Jahre 2008 eineinhalb Tonnen Sand auf den Dachboden und ließ diesen durch ein kleines Loch in der Decke in die Ausstellungsräumlichkeiten rieseln, wo mit Hilfe von Ventilatoren eine zebrastreifige Wüstenlandschaft entstand. Dieses Konzept gibt es in mehreren Varianten, so auch auf Tischen oder besonders schön: die "Äolik aus der Streusandbüchse" im Berliner Georg-Kolbe-Museum 2011:


Und da sind wir auch schon beim Thema: Ästhetik. Markus Wirthmann geht als Künstler vom Konzept aus. Er nimmt einen physikalischen oder chemischen Vorgang und führt diesen im Modellversuch im "Labor", dem Ausstellungsraum aus. Der Betrachter kann den Prozess in Anwesenheit begleiten und beobachten, zumindest aber das Resultat sehen. Im Gegensatz zu vielen prozesshaften Kunstwerken, wie beispielsweise von Andy Goldsworthy oder Robert Smithson, zerfallen Wirthmanns Werke nicht, sondern sie entstehen. So transportieren sie eine tendenziell positive Botschaft wissenschaftlicher Neugier. Jeder Schritt bis zum Ende der Ausstellung, beziehungsweise der Fertigstellung des Kunstwerkes, ist von ästhetischem Fortschritt begleitet. Jede Minute verheißt Entwicklung und Schönheit.

In einem weiteren Punkt heben sich Markus' Wirthmanns Arbeiten von denen zahlreicher Kollegen ab. Weder sind seine Arbeiten reine Ästhetik noch spröde Konzeptkunst. Vielen Kunstschaffenden fällt der Grat zwischen belangloser Ästhetik und unkommunizierbaren Rohideen sehr schwer. So manche Konzeptausstellung verlangt einen erheblichen Hang zum Masochismus um ihr noch einen schönheitsrezipativen Anteil abgewinnen zu können. Wirthmanns Arbeiten sind dagegen streng durchdacht und halten doch den Betrachter neugierig bei der Stange. Und der ästhetische Wert dürfte nicht nur meiner subjektive Vorstellung Genüge leisten.

Streng durchdacht? Ja. Dies wird deutlich, wenn man weitere Arbeiten von ihm betrachtet. Dort wiederholen sich nämlich oben genannte Grundschritte in überraschenden Variationen.

"Küchenwissenschaften"

Der Prozess: Lebens- und Reinigungsmittel, Hülsenfrüchte und farbige Flüssigkeiten aus dem alltäglichen Gebrauch werden auf einem Flachbildscanner verteilt, wo sie ineinanderfließende, transluzide Farbwolken bilden. Während des Fließprozesses werden sie gescannt. Das entstandene Bild wird als großformatiger Abzug in den Ausstellungsraum gehängt und dient quasi als Dokument des Mischvorganges.

Die Zeit: Während des Scanvorgangs fließen die Flüssigkeiten ineinander und bilden neue und vorher nicht berechenbare Formen aus. Auch wenn der Vorgang nur kurz ist, so spielt doch die Veränderung während des scannens eine wesentliche Rolle und bleibt selbst im eigentlich statischen, zweidimensionalen Print präsent.

Die Ästhetik: Auch wenn ja bekanntlichermaßen Schönheit ein recht subjektiver Begriff ist, so soll man mir erst mal einen anderen Künstler nennen, der dem scheinbar banalen, technischen Vorgang der Durchdringung verschiedenartiger Flüssigkeiten einen solchen dauerhaften und ästhetischen Ausdruck verleihen kann:

02. Versuch 05. Version 2008
"Salzbilder"

Der Prozess: Leinwände werden in eine starke Salzlösung eingelegt. Es werden Kochsalz, aber auch farbige, kristallbildende Materialien wie u.a. Kaliumpermanganat oder Kupfersulfat verwendet.

Die Zeit: Binnen Stunden bis Monaten bilden sich auf den Leinwänden während des Verdunstungsvorganges und der damit einhergehenden Übersättigung der Lösung Kristalle aus. In seiner Ausstellung "Tracht und Habitus" 2011 in der kleinen Orangerie des Schlosses Charlottenburg, Berlin, fand der Prozess während der Ausstellungsdauer sichtbar vor den Betrachtern statt. Die Dokumentation findet man auf Markus' Wirthmanns Homepage.

Die Ästhetik: Nun ja, mineralische Kristalle faszinieren die Menschheit von ihrem Anbeginn an. Doch die Form der Sichtbarmachung, die Wirthmann wählt, trägt weiterhing seine Handschrift. Sie lassen den Betrachter teilhaben und reflektieren. Auch die Schönheit der Vermittlung spielt hier eine wichtige Rolle.


So möchte ich abschließend feststellen was mich an diesen Arbeiten fasziniert: es sind die gut durchdachten Konzepte, die mit ansprechender Ästhetik vorgetragen werden. Wir leben in einer Zeit und einer Kultur, in der wir uns vor Kunst kaum noch retten können. Doch nur wenigen Künstlern gelingt es, die Waage zwischen Inhalt und Form so zu treffen wie Markus Wirthmann.

André Debus

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