Mittwoch, 11. August 2010

Sarah Thornton - Sieben Tage in der Kunstwelt

Elisabeth schenkte mir vor kurzem Sarah Thorntons Buch „Sieben Tage in der Kunstwelt“. Das Buch erschien bereits Ende 2008, kurz bevor der Markt kollabierte. Sarah Thornton recherchierte ab etwa 2001 für dieses Buch, sammelte Interviews und traf sich mit der Szene, so dass man einen regen Einblick in den Jetset der Größen des Kunstmarktes bekommt.

Die Autorin gibt einen wissenschaftlichen Ansatz vor dem sie allerdings nicht gerecht wird, da sie zwar eine Sozialstudie betreibt und auch Thesen zum Boom des Kunstmarktes beschreibt, diese aber dann nicht argumentativ stützt. Abgesehen von diesem selbstverschuldeten Fauxpas ist das Buch jedoch in jeder Hinsicht lesenswert. Es ist kurzweilig und viele der wichtigsten Personen des internationalen Kunstbetriebs, Kuratoren, Sammler, Galeristen und Künstler, kommen in Zitaten zu Wort.

Gewichtige Kunstmagazine (nur die ART nicht – klar) warfen in ihren Rezensionen Sarah Thornton Oberflächlichkeit vor. Tatsächlich ist die Autorin Quereinsteigerin und das Buch ist im Hauptteil eher Boulevard als Philosophie, aber gerade dadurch ließt es sich sehr kurzweilig. Auch trifft sie damit wohl den Kern der Sache – der Kunstmarkt ist tatsächlich ein gutes Stück Boulevard. Aber es gibt einfach zu viele die Geld verdienen wollen und deshalb gerne das „Geistige in der Kunst“ reklamieren und dabei eine hohle Wesenlosigkeit Steinerscher Prägung herbei beschwören.

Im Übrigen sind die Thesen der Einleitung knackig und überlegenswert, wenn auch im weiteren Buch nur weitschweifig belegt. Warum ist der Kunstmarkt so erfolgreich? Erstens: Wir sind gebildeter als je zuvor und haben einen gesteigerten Appetit auf kulturell komplexere Güter. (Gegenfrage: Künstler waren in der Renaissance was Fußballstars heute sind. Doch war der allgemeine Bildungsstandard deutlich niedriger. Wie will man das erklären?)

Die zweite These finde ich spannender: „Wir sind zwar gebildeter, aber wir lesen immer weniger. Unsere Kultur wird heute in weiten Teilen vom Fernsehen oder von YouTube bestimmt. Die einen beklagen diese neue, zweite Mündlichkeit („secondary orality“), die anderen verweisen auf den damit verbundenen Zugewinn an visueller Kompetenz, die ein größeres intellektuelles Vergnügen am Visuellen ermöglicht.“ – Wow, da kann man mal drüber nachdenken.

„Drittens ist die Kunst in einer zunehmend globaleren Welt wahrhaft grenzüberschreitend. Sie wird zu einer lingua franca und kommt einem gemeinsamen Anliegen auf einer Weise entgegen, wie es an Sprache gebundenen kulturellen Äußerungen niemals möglich wäre.“ – Zumindest die Idee der Kunst als einer lingua franca finde ich schmeichelnd.

Viertens argumentiert sie noch mit der Marktlage: Kunst als Statussymbol und Wertanlage jenseits von Aktien. Vielleicht wäre ersteres auch eine Erklärung um den Boom der Kunst in der italienischen Renaissance zu erklären.

Der Hauptteil des Buches ist gut zu lesen und führt uns in die Kreise, die wir wohl nie betreten werden und die bestimmen was in die Museen kommt, was teuer verkauft wird und was wieder verworfen wird. Die Mechanismen sind grob umrissen aber entsprechen dem, was mir auch aus anderen Quellen so bekannt ist. Das Buch ist gespickt mit zahlreichen Anekdoten und Zitaten. Besonders hat mir das Kapitel über das Crit-Seminar in L.A. gefallen. Einer der Künstler und Lehrer die am California Institute of the Arts lehren, John Baldessari, meinte: „Studenten müssen erkennen dass Kunst von gewöhnlichen Menschen gemacht wird“. Wie wahr.

Sarah Thornton
Sieben Tage in der Kunstwelt
S. Fischer Verlag

André Debus

P.S. man lese auch die Rezension von Elisabeth Eberle zum gleichen Buch.

3 Kommentare:

Jürgen Weiß hat gesagt…

Meine Überlegungen zu den vier Thesen in Behauptungen und Fragen niedergeschrieben:

zu 1: Wir sind nicht gebildeter als je zuvor und haben keinen gesteigerten Appetit auf "kulturell komplexes(?)".
zur Gegenfrage: Wenn denn die "Renaissancekünstler" so etwas wie Fußballstars gewesen wären, dann hätte sich deine Frage, unter dem Gesichtspunkt des von Dir behaupteten Bildungsmalus , erübrigt ;-)

zu 2: Sollte man ob der angenommen Dominanz der elektronisch-visuellen Medien nicht eher von einer "First visuality" sprechen. Abgesehen davon das ich eine Mündlichkeit eher in der Bedeutung abnehmen sehe, wieso sollte diese einer "visuellen Kompetenz" zuträglich sein?

zu 3: Die Kunst ist nicht grenzüberschreitend-sie zieht nur neue Grenzen. Was ist dieses gemeinsame Anliegen? Von einer angenommenen lingua franca kann nicht die Rede sein. Alle Sprachen trennen.

zu 4: Malerei, Skulptur, etc. haben im Vergleich zur Aktie einen Wert an sich. "Kunst" aber hat keinen Wert an sich und Bedarf deshalb eines Vergleichs mit der Aktie ( bäh ;-) )

So, jetzt habe ich hier auch mal was geschrieben,
liebe Grüße,
Jürgen

André Debus hat gesagt…

Hallo Jürgen,

ich fühle mich geehrt, dass Du schreibst.

Allerdings muss ich intervenieren denn ich glaube Du hast einiges missverstanden.

Zu Punkt 1: Ich stimme inhaltlich mit diesem Punkt auch nicht überein, daher hast Du richtig bemerkt dass meine Anmerkung dagegen zielt. Allerdings stimme ich nicht mit Dir überein bezüglich Deiner Ansicht was unseren Bildungsstandard angeht. Abgesehen davon, dass es die letzten 20 Jahre wieder abwärts ging, gibt es wohl keinen Zeitpunkt in der Geschichte Europas, wo so eine breite Masse so gebildet war. Erst jetzt wo die soziale Schere wieder auseinander geht, nimmt das Analphabetentum (nicht nur das Buchstäbliche) wieder zu.

Zu Punkt 2: Hier handelt es sich um ein Missverständnis. „Secondary orality“ bezieht sich auf die These dass die mühsam entwickelte Schriftkultur unserer Gesellschaft wieder von der älteren mündlichen Erzählkultur verdrängt wird. Diese Theorie stammt übrigens nicht von Thornton, sie hat sich da einfach bedient. Ich finde das Thema sehr spannend und der Diskussion wert.

Zu Punkt 3: Auch hier liegt ein Missverständnis vor. Die lingua franca ist so in etwa das Gemeinsame in den romanischen Sprachen. Karl der Große hat nicht nur die europäische Schriftreform eingeleitet, er war auch sehr daran interessiert eine einheitliche Sprache einzuführen. Die lingua franca schien ihm als geeigneter Ersatz fürs Latein. Also ist die lingua franca so was wie ein mittelalterliches Esperanto. Der eheste gemeinsame Nenner unter den damals bestehenden Sprachen.

Wie ich gesagt habe, ich finde den Gedanken der Kunst als (symbolischer) lingua franca reizvoll. Leider muss man dagegenhalten dass wohl die Musik die einzige Kommunikationsform ist, die man als „lingua franca“ bezeichnen kann. Insofern stehe ich diesem Punkt eigentlich auch skeptisch gegenüber.

Zu Punkt 4: Ich gebe Dir unumwunden inhaltlich recht, leider ist die Realität eine andere.

Jürgen Weiß hat gesagt…

Hallo André,

So hier nun meine Replik:
zu1. Ganz frech bleibe ich bei meiner Behauptung. Kurze Frage: War den Karl der Große (soweit es Ihn denn wirklich gegeben haben sollte), aufgrund seines ihm attestierten Analphabetismus, "ungebildet"?

zu2: Danke, daß Du mir nur ein Mißverständnis und nicht eine Unkenntnis in puncto Medientheorie attestiert:-). Aber Du liegst richtig: nur äußerst rudimentäres Halbwissen vorhanden...
Nichts desto trotz sehe ich eine globale "first visualtiy" heraufziehen. Eine Umwertung der Wort-Bild-Beziehung findet schon jetzt statt.

zu3: Was die lingua franca ist, hast du genau beschrieben. Genau aber aus diesem Grunde mag zwar der Gedanke reizvoll sein, aber die Realität ist eine andere.
Zur Musik als lingua franca: klingt interessant, habe aber meine Zweifel. Vielleicht kann man ja die Diskussion anderweitig fortführen.

zu4. Ich kenne mich ja im Kunstmarkt nicht so aus, aber verscherbeln selbst die insolventen Geldhäuser jetzt nicht ihre Wanddekorationen nicht unter Wert, bzw. mit einer Minusrendite?

Eine angenehme Nachtruhe und liebe Grüße,
Jürgen