Sonntag, 20. März 2011

End Art

Diejenigen, die sich aufgrund des Titels auf einen Text über die gleichnamigen Kunst-Clowns der 1980er Jahre gefreut haben, bitte ich um Verzeihung für das irreführende Namedropping. Anders als die familienunfreundlichen Ferkelwerke der damaligen Spaßvögel ist der Unterhaltungswert des folgenden Berichts über den Besuch einer Kunstmesse nämlich überschaubar.

Statt um Endzeitbewusstsein in der Kunst geht es um Kunst im Endzeitbewusstsein. Denn weder gemalte Apokalypsen noch einstürzende Altbauten trieben mich um am vergangenen Wochenende als vielmehr die medial vermittelten – und mehr noch die nicht-vermittelten - Bilder von manifester und latenter Zerstörung.

Ihr, die ihr dies lest, wisst natürlich mehr über den Ausgang der Geschichte von den japanischen Kernkraftwerken im März 2011. Mein aktueller Erkenntnisstand reicht immerhin so weit, um die seit dem Erdbeben vergangene Woche als „historisch“ zu kategorisieren. Und das zurückliegende Wochenende erlebte ich als eins dieser Enden der Welt, wie wir sie kennen – eins der Ereignisse, die wir als geschichtliche Zäsur zu erkennen gelernt haben, auch wenn wir die Folgen noch nicht absehen können.

Christian Lapie Evoquer les ombres, 08

Drinnen Messe, draußen mess

Im Bewusstsein einer bevorstehenden Katastrophe schleiche ich also am Sonntag, den 13. März über die Karlsruher Kunstmesse und hoffe auf saugkräftige Exponate – Ware sollt ich wohl sagen, bin schließlich auf einer Messe – die meine defizitäre Aufmerksamkeit anziehen.

Ich verlange ja schon generell von Kunst ziemlich viel. Sie soll sowohl als auch leisten, dies sowieso und das erst recht. An diesem Wochenende aber soll sie mich zudem vor der Realität beschützen, wenigstens vorübergehend. Ich wünsche, absorbiert zu werden - während am unteren Rand meines inneren Auges ein aus Fakten und Fiktionen gewobenes Textband mich hartnäckig dran erinnert „was draußen wartet.“¹

Soll's warten.

Bei Wimmelveranstaltungen lasse ich gewöhnlich mit milder Toleranz unscharfe Blicke schweifen und fokussiere nur, was der näheren Betrachtung würdig scheint. Infolge meiner endzeitlichen Gemütsverfassung aber taxiere ich diesmal alles mit der Humorlosigkeit einer Person, die angesichts des bevorstehenden Umzugs von einer Villa in ein Wohnklo alles Sichtbare der Überlegung unterzieht: „MUSS das sein? Ist das WIRKLICH wichtig?“

Diese Fragestellung mit der Trennschärfe einer Planierraupe lässt einen gewissen Mangel an ästhetischem Feingefühl erkennen und eignet sich genau genommen nicht als methodischer Ansatz zur Erkundung einer Verkaufsmesse, deren Anliegen in der ästhetischen Verzauberung der Welt besteht.

Äpfel und Birnen

Dabei war ich eigentlich in der Absicht gekommen, liebgewonnene Vorannahmen am lebenden Objekt zu überprüfen. An erster Stelle steht dabei die These von der Unvergleichlichkeit von Biennale- und Messekunst: Zeitbasiertes und Sozialkritisches auf Biennalen, großes Buntes auf Messen. Da ich nun aber schon auf Messen inmitten vom zugegeben allgegenwärtigen Bling dann doch gelegentlich Videos gesichtet habe, deren Schnittfrequenz die Aufmerksamkeitsspanne der sprichwörtlichen Fliege überschreitet, und umgekehrt die noch bis vor Kurzem omnipräsenten Michael Jackson-Reminiszenzen auf Biennalen², begebe ich mich also mit der Frage „Gibt es auf Kunstmessen Kunstmessenkunst?“ auf die Suche nach eben solcher.

Nicole Ahland, aus der Serie expectare,10

Nicole Ahland, aus der Serie expectare,10

Hier wäre eine Bildstrecke angebracht aus all den bizarren Hinguckern, die um die umkämpfte Ressource Aufmerksamkeit der sich im geistigen Standby Vorbeischleppenden konkurrieren. Doch genau solche Abbildungen werden hier nicht erscheinen, da sie eben die Art von Kunst promoten, die die Kameras von Print- und Videopresse ohnehin anzieht wie der Nordpol die Kompassnadel. Ein zugleich massenkompatibles wie geradezu unheimlich zeitgemäßes Bild war am Vortag in einer Münchner Galerie meiner leicht einseitigen Wahrnehmung aufgefallen:

 Murakami Hommage Francis Bacon, 04

Ansonsten hier zwei Arbeiten, die mein zerfranstes Interesse kurzzeitig anpflockten:

Yamanobe High 03-3, 03

Yamanobe Daylight #25, 11

Noch Fragen?

Neben der Mär von den ortspezifischen Künsten – „challenging & edgy für Biennalen, Wow-Faktor für die Messe - existieren weitere unsterbliche Behauptungen. Und der berüchtigte Overkill eines Kunst-Großmarkts bietet ausreichend Gelegenheit, solch gern kolportierte Gemeinplätze zu prüfen. Da wäre beispielsweise der von der Individualisierung (der herrschende Pluralismus lasse keinerlei Trends, geschweige denn Stile erkennen) oder der vom endlosen Re-Enactment (80 % pro Ausstellung bestehe aus frisch erfundenen Rädern).
Und? War sie erkennbar, die kommende Ära?

Für Trendscouts bietet eine Messe keine Anhaltspunkte, weil sie keineswegs repräsentativ ist für größere Teile zeitgenössischer Kunst. Drei Faktoren bestimmen die Auswahl des Angebots einer Messe: Absatzfähigkeit, geografische Lage und der künstlerische Schwerpunkt der jeweiligen Veranstaltung. Diese drei Filter erzeugen eine orts- und zeitspezifische Auswahl, deren Tendenzen für die dort nicht vertretene Kunst ohne Bedeutung sind.

Mit dieser Einschränkung würde ich die Frage nach der Existenz von Trends bejahen. Die dominierenden Eigenschaften sind nicht neu, aber unkaputtbar, und lauten: jugenkulturell, unterhaltungsindustriell, chronisch ironisch, hierarchiearm hinsichtlich des Materials, persönlich bis emotional hinsichtlich der Sujets, und was die Form angeht, erfreuen sich malerische Imitationen digitaler Bildbearbeitung anhaltender Beliebtheit.

Um die Frage nach den unbegrenzt recyclingfähigen Rädern zu beantworten, sei daran erinnert, dass Innovationswert kontextabhängig ist. Neu ist, was sich von der vertrauten Umgebung abhebt. Solang diese sich wiederholt neu bildet, kann auch das gleiche Unvergleichliche regelmäßig wieder aufleben. Ein typischer Zyklus geht so: In regelmäßigen Abständen betritt eine neue Technologie die Weltbühne und abstrahiert die menschliche Erfahrung von Wirklichkeit – sei es Fernsehen und Video der 1970er, Computerkunst der 80er und 90er, Second Life Anfang des 21. Jh. oder bis vor kurzem noch web 2.0. Sobald die auf ihre jeweils spezielle Weise technizistische Art der Realitätserfahrung an die Decke stößt, bricht in der Kunst eine Renaissance körperbezogener Verfahren und somit alle paar Jahre eine neue Leibhaftigkeit aus.

Insofern hinkt die Metapher vom im Zehn-Minuten-Takt neu erfundenen Rad, weil künstlerische Evolution selbst eben diese Form hat: Ja, sie ist zyklisch, bewegt sich durch diese ständige Umdrehung aber durchaus von A nach B.

It is easier to imagine the end of the world than the end of capitalism.”³

Inzwischen bittet der Newsticker am unteren inneren Augenrand vernehmlich um Aufmerksamkeit. Jede Krise beschwört ja gern Erinnerungen an vorangegangene herauf, und so frage ich mich – mal wieder – wann und wie die Zerstörung des japanischen Kernkraftwerks in der bildenden Kunst auftauchen wird. Denn inzwischen haben wir gelernt, die mediale Vermittlung gegenwärtiger Ereignisse vorwegzunehmen. So hatte ich mir schon kurz nach dem 11. September die gleiche Frage gestellt, wobei das tatsächliche Ausmaß der mehr oder weniger direkten Verweise meine Erwartungen übertraf. Wie das visuell weniger ergiebige Geschehen diesmal massenkulturell aus- und einschlagen wird, ist offen. Dass man den fünfzig Technikern, die derzeit ihr Leben opfern, auf allen Ebenen Denkmäler errichten wird, ist klar – spätestens seit Hollywoods Approprationen von Nine Eleven. Fast Ten Years After entdeckte ich an diesem Wochenende eine zwar späte, aber besonders skurrile Variante von Vergangenheitsbewältigung:

Christophe 11. septembre, 10

An dieser Stelle müsste ein vogelperspektivisches Resümee folgen hinsichtlich Kunst, die ein stabiles Gegengewicht darstellt angesichts unwiderstehlicher Fluchttendenzen aus der Wirklichkeit. Doch leider will mir kein sinnvoller Schlusssatz einfallen, weil mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weitblick fehlt.
Nach einer weiteren Viertelstunde erfolgloser Suche nach dem zukunftsweisenden Fazit gebe ich auf. Wie der Name schon sagt, setzt ein Schlusssatz einen Schluss voraus. Der ist heute, am 20. März, nicht zu erkennen.

¹Das Motto der Berlin Biennale 2010 lautete: „Was draußen wartet“.
²Isa Genzken in Venedig 09.
³Slavoj Žižek, zitiert auf www.friezefoundation.org

Charlotte Lindenberg

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